Millionen von Patienten weltweit sind von Erkrankungen mit neurodegenerativen Auswirkungen wie Schlaganfall, Parkinson oder ALS betroffen. Diese Erkrankungen haben eines gemeinsam: es gibt nach wie vor einen hohen Bedarf an einer wirkungsvollen Behandlung. Neurevo – ein Start-up der Ludwig-Maximilians-Universität (Klinikum der LMU) – ist dabei, eine neue Therapie für Betroffene zu entwickeln. Ihre Entdeckung von zwei neuroprotektiven Substanzen hat bei ALS bereits positive Effekte gezeigt. Das vierköpfige, internationale Team verfolgt jetzt vor allem zwei Ziele: die Entwicklung von Arzneimitteln durch die beiden entdeckten Substanzen und die Entwicklung einer zugelassenen Therapie. Das Team spricht im HOCHSPRUNG-Interview über die wichtige Rolle der Hochschullandschaft für ihr Vorhaben, über die Hintergründe der Therapie und welche Herausforderungen bereits gemeistert werden mussten.
Stellt euch bitte kurz vor: Was genau macht euer Startup und was ist das Besondere an eurer Geschäftsidee?
Wir haben zwei neuroprotektive Substanzen entdeckt, die erfolgreich in in vitro und in vivo Modellen von Schlaganfall, Parkinson und ALS als Therapie getestet wurden. Bei ALS haben wir auch schon sehr positive Effekte in vier Heilversuchen an Patienten gesehen – ohne das Auftreten nennenswerter toxischer Nebenwirkungen. Unsere Geschäftsentwicklung steht auf zwei Säulen:
1) Die bisher vielversprechenden Substanzen zu einer zugelassenen Therapie entwickeln – die typische Arzneimittelentwicklung.
2) Unser Wissen über den Wirkmechanismus und von uns entwickelte Screeningverfahren verwenden, um neue Substanzen mit ähnlichen oder besseren Eigenschaften zu entwerfen bzw. zu identifizieren. Mit diesem Verfahren haben wir bereits ein weiteres Molekül entdeckt mit zum Teil ähnlichen Eigenschaften wie unsere ersten beiden Medikamentenkandidaten.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Die Idee stammt aus der Grundlagenforschung mit dem Modellorganismus C. elegans, einem Fadenwurm. Diese Würmer haben die Fähigkeit, unter ungünstigen Umweltbedingungen in einen sogenannten „Dauer“-Larvenzustand zu gelangen. Als Dauerlarven haben sie die Fähigkeit zehnmal länger zu leben, als wenn sie ihren normalen gesamten Lebenszyklus durchlaufen würden. Weniger bekannt ist, dass diese Würmer sich gut an Trockenzeiten anpassen können, indem sie diese Zeit in trockenem Zustand als Dauerlarve überstehen und bei Regen wieder rehydriert werden können ohne zu sterben.
Dies ist ein „Stopp-Start“-Prozess des Stoffwechsels, ähnlich wie bei einem Schlaganfall und der anschließenden Reperfusion des neuronalen Gewebes nach der Wiedereröffnung der Arterie. Wir stellten fest, dass eine der zellulären Veränderungen in den Würmern, um diese lebensgefährliche Situation zu überleben, die Überproduktion von zwei Enzymen war, die unsere Substanzen in großen Mengen produzieren.
Die Idee entstand dann aus der Überlegung, dass diese Substanzen auch eine neuroprotektive Rolle in diesem Prozess spielen könnten. Tatsächlich zeigten unsere Ergebnisse, dass beide Substanzen für den Schutz der mitochondrialen Funktion und der Neuronen in dieser Situation verantwortlich waren. Da dieser Prozess in Würmern ähnlich zu einem Schlaganfall ist und viele neurodegenerative Krankheiten mit einer Beeinträchtigung der mitochondrialen Funktion einhergehen, war dann die Überlegung, ob dieser protektive Effekt auch bei Schlaganfall und neurodegenerativen Erkrankungen wie ALS und Parkinson zu beobachten ist, was auch der Fall war. Damit hatten wir eine potenzielle Behandlung entdeckt, die jetzt zu einer zugelassenen Therapie für Patienten entwickelt werden soll.
Welche Rolle spielte die Hochschullandschaft für eure Gründungsinitiative? Wovon habt ihr besonders profitiert (Angebote, Veranstaltungen, Wettbewerbe usw.)?
Die Hochschullandschaft spielt für uns eine wichtige Rolle. Als Gruppe im Uniklinikum haben wir die Gelegenheit gehabt unser Projekt durch verschiedene Förderprogramme zur Unterstützung von Start-ups wie FLÜGGE und EXIST zu finanzieren, wobei wir vom Spin-off Service der LMU unterstützt wurden. Sehr hilfreich war auch die Teilnahme am EIT Health Bioentrepreneurship Lab im letzten Jahr, das von BioM organisiert wurde. Teil der Hochschullandschaft zu sein bietet uns auch die Möglichkeit die große Infrastruktur nutzen zu dürfen, Kollaborationen mit anderen Gruppen durchzuführen und uns mit anderen Wissenschaftlern auszutauschen. Insbesondere München ist als biotechnologischer Start-up Hub sehr bekannt, was die Interaktionen mit Investoren und anderen Gründern vereinfacht.
Was waren die bislang größten Herausforderungen für euch?
Unsere erste große Herausforderung bestand darin Geld über Förderprogramme, z.B. das bayerische FLÜGGE-Programm oder das EXIST Forschungstransferprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft, zu bekommen, um die Entwicklung der Substanzen voranzutreiben. Jetzt ist unsere größte Herausforderung Investoren zu finden, um die teuren klinischen Studien durchzuführen und die Therapie auf den Markt bringen zu können.
Welche Empfehlung oder welchen Tipp möchtet ihr anderen Gründern und Gründungsinteressierten mit auf den Weg geben?
Es ist wichtig über die Finanzierung des Projektes und das Timing nachzudenken. Zu diesem Zweck ist es gut sich von Fachleuten wie denen der Transferstellen der Universitäten beraten zu lassen und das Start-up Netzwerk von München zu nutzen. Wichtig ist auch, wie man sich und seine Idee vorstellt. Das Produkt oder die Idee sollte für alle und nicht nur für Fachleute verständlich sein und einen guten Business Case darstellen.
Das Projekt Neurevo wird seit Herbst 2018 durch Exist-Forschungstransfer gefördert. Die Gründung ist zeitnah in 2020 geplant.